Die große Ödnis

Nicht nur aufgrund der Überlegenheit des FC Chelsea herrscht Langeweile in der englischen Premier League – auch der Sicherheitsfußball vieler anderer Clubs kommt bei den Fans immer schlechter an

AUS DUBLIN RALF SOTSCHECK

Kaum erwähnt man den FC Chelsea, da brechen alle in unkontrolliertes Gähnen aus. Im englischen Fußball regiert die Langeweile. Chelsea, der Verein des russischen Ölmilliardärs Roman Abramowitsch, hat nach sieben Spieltagen noch keinen Punkt abgegeben, nur ein Tor kassiert und liegt bereits sechs Punkte vor dem zweitplatzierten, Charlton Athletic. Arsène Wenger, Trainer des FC Arsenal, sagte: „Gebt Chelsea die Meisterschale, und wir fangen nochmal von vorne an. Das ist alles, was wir tun können, denn sonst wird es bis zum Mai sehr fade.“

Früher hat man sich über Chelsea lustig gemacht, weil der Verein so unbeständig war – an einem Tag schlugen sie die besten Teams der Liga, am nächsten Tag verloren sie gegen ein Amateurteam. In den vergangenen 30 Jahren ist Chelsea dreimal abgestiegen, dreimal aufgestiegen und hat 16 Trainer verschlissen. Schon immer war der Verein im Rest des Landes unbeliebt, er galt als Londoner Schickimicki-Club. Nun hat er den ersten Meistertitel seit einem halben Jahrhundert gewonnen, was für Chelseas Gegner alles noch schlimmer macht. „Chelski“ nennen sie den Verein, weil er sich mit Abramowitschs Geld ein Meisterteam zusammengekauft hat. Alleine die Spielergehälter kosten 115 Millionen Pfund in der Saison.

Aber die anderen haben ja auch nicht gerade gekleckert. Sie haben aber offenbar die falschen Spieler eingekauft. Weil sie mit Chelsea nicht mithalten können, kopieren sie deren Taktik: Sicherheit zuerst, lautet die Devise des Chelsea-Trainers Jose Mourinho. So fallen kaum noch Tore, selbst bei Spitzenspielen ohne Chelsea-Beteiligung scheint es, dass die Teams einen Nichtangriffspakt geschlossen haben. Immer weniger Zuschauer wollen das öde Gekicke sehen.

In der vorigen Saison waren die englischen Stadien zu 94,2 Prozent ausgelastet – die höchste Quote in Europa. Inzwischen kommen rund 10.000 Zuschauer weniger pro Spieltag in die Stadien. Nur die beiden Liverpooler Clubs, FC Everton und FC Liverpool, haben einen Anstieg zu verzeichnen, weil sie vor der Saison viele Dauerkarten verkaufen konnten – die einen, weil sie zum ersten Mal seit zehn Jahren wieder an einem europäischen Wettbewerb teilnehmen durften, allerdings schon in der Qualifikation zur Champions League und nun in der ersten Runde des Uefa-Cups ausschieden, die anderen, weil sie die Champions League gewonnen haben. Doch gerade in Liverpool sind Tore für die Heimteams Mangelware.

Der allgemeine Zuschauerschwund liegt nicht nur an den fehlenden Toren, sondern auch an den Eintrittspreisen. Nirgendwo in Europa ist Fußball so teuer wie in England. Die Tickets kosten bei Chelsea umgerechnet 72 bis 90 Euro. Selbst für das Spiel zwischen West Bromwich und Charlton musste man immerhin noch 60 Euro berappen, Kinder zahlen 25 Euro. Selbst Crawley Town, das in der untersten Liga spielt, verlangt höhere Eintrittspreise als Juventus Turin.

Der Guardian hat die Probe aufs Exempel gemacht: Ein Reporter ist zum Spiel AC Mailand gegen Lazio Rom geflogen, besuchte nebenbei das Fußballmuseum und kam trotz Reisekosten billiger weg, als wenn er zu irgendeinem englischen Erstligaspiel gegangen wäre. „Die Premier League hatte seit ihrer Gründung jedes Jahr ein Wachstum zu verzeichnen“, sagte Stuart Barnsdall von einer auf Fußball spezialisierten Buchprüfungsfirma, „und vielleicht stehen wir an einem Wendepunkt. Sobald die Leute finden, es ist langweilig und zu teuer, steht man vor einem Problem.“

Als die Premier League Anfang der Neunzigerjahre gegründet wurde, wollten die Vereine vor allem Geschäftsleute und Besserverdiener ins Stadion locken – und erhöhten die Preise. Doch diese Leute sind die ersten, die wegbleiben, wenn der Unterhaltungswert sinkt. Der Observer merkte an, dass es ein Fehler war, die Fußball-Konsumenten zu hofieren und die Fußball-Fans zu vernachlässigen.

Malcolm Clarke von Verband der Fanclubs sagt: „Es wird immer behauptet, die englische Liga sei die beste der Welt, aber ich weiß nicht, auf welcher Grundlage das basiert. Ich glaube, in Wirklichkeit geht es mit ihr bergab.“ Die Vereine müssen befürchten, dass sich diese Erkenntnis auch bei den Fernsehanstalten durchsetzen und das Geld versiegen könnte. Bei Sky, das die Spiele live überträgt, sind die Zuschauerzahlen in dieser Saison bereits zurückgegangen. Und die Zeitungen, die den Fußball jahrelang hochgejubelt haben, raten den Fans seit ein paar Wochen: „Englischer Fußball ist langweilig. Bleibt zu Hause, Leute!“